29. Juni 2020

Dann schlaf auch du von Leïla Slimani

Dann schlaf auch du 


♥♥♥
Leïla Slimani
Dann schlaf auch du
304 Seiten
Roman Luchterhand




Als Myriam und Paul das Kindermädchen Louise einstellen, scheint ihr Leben perfekt zu sein. Louise ist ein wahrer Schatz, die Kinder lieben sie, sie erfüllt das Haus mit Wärme, dem Duft nach gutem Essen und hinterlässt nichts als Ordnung. Schnell wird sie fester Bestandteil der Familie und nach und nach werden von allen Seiten Grenzen überschritten. Doch das blinde Vertrauen des glücklichen Paares macht sie blind für Louises seelische Abgründe und eine Tragödie wird unabwendbar.

Nachdem uns Slimanis Geschichtensammlung "Sex und Lügen" und ihr Roman "All das zu verlieren" sowohl verstört als auch zum Nachdenken angeregt haben, waren wir sehr gespannt auf "Dann schlaf auch du", das 2016 den Prix Goncourt Literaturpreis gewann. Wir wussten nicht, was uns erwarten würde, die wenigen Informationen auf dem Klappentext klangen nach Psychothriller. Bekommen haben wir Licht und Schatten, Liebe und Obsession.  

Wie so vieles in Slimanis Büchern, kam der Einstieg mehr als unerwartet. Bereits im ersten Satz erfahren wir das grauenvolle Ende, das uns ein Gänsehautgefühl gegeben hat. Alles was wir danach tun konnten, war, das Buch so schnell wie möglich durchzulesen, um zu erfahren, wie das passieren konnte. 
Nach diesem abrupten Einstieg, lernen wir die Familie näher kennen und begleiten sie auf der Suche nach einer Nanny. Als sie auf Louise treffen, kommt uns sofort das Bild einer modernen Marry Poppins in den Sinn: liebevoll, warmherzig, strukturiert, zuverlässig ... Sie ist alles was man sich wünschen kann und niemand würde auch nur eine Sekunde lang zögern, ihr die Kinder anzuvertrauen. 
Doch nach und nach erhalten wir Einblicke in Louises Vergangenheit, in ihre Gedankenwelt und in das Dunkle in ihr. Sie ist eine höchst einsame, geradezu obsessiv nach Liebe und Zugehörigkeit suchende Frau, die beinahe in sich selbst zu ertrinken droht. Ihre Verzweiflung macht sie gefährlich und doch empfanden wir viel Mitleid mit ihr. 
Wie auch in All das zu verlieren, waren wir fasziniert von dem Bild der typischen, wohlhabenden französischen Familie, das Slimani zeichnet. Die Figuren, die Gespräche, die Settings – alles wirkt so real, dass es in der Nachbarwohnung passieren könnte. Auch die Figurencharakteristik war gut getroffen. Es wird mit Fremd- und Selbstwahrnehmung gespielt, mit einem unerreichbaren Lebensideal und dem Klassenunterschied im modernen Frankreich. Am Ende ist nichts wie es scheint und Glück und Unglück, Liebe und Obsession liegen viel näher als man denkt. 
Ein wenig gestört haben uns die kleineren, langatmigen Momente der Geschichte. Diese sind vor allem der sehr lebensnahen Erzählweise geschuldet, denn während die Handlungen und Gedanken der Figuren wiedergegeben werden, werden die Szenen detailiert geschildert und mit nebensächlichen Informationen geschmückt.
Außerdem erfahren wir – typisch Slimani – nicht alle Details. Wir hätten so gerne mehr über Louises Vergangenheit gelesen, doch diese wird nur schemenhaft umrissen. Selbst über das grausame Ende/den Anfang der Geschichte schweigt das Buch. Wie ist es passiert? Wie geht es weiter? Ist das zum ersten Mal geschehen? All das bleibt unbeantwortet und ist damit gleichzeitig frustrierend und macht doch auch den Reiz der Geschichte aus.

Leila Slimani öffnet in Dann schlaf auch du wieder einmal ein Fenster in das Leben der Anderen, das einem gerade genug Einblick gewährt, um die Labilität der Figuren zu erahnen, ohne jedoch ihre tiefste Dunkelheit gänzlich zu enthüllen. Von uns erhält Louises Geschichte 4 von 5 Herzen. Es handelt sich um eine sich langsam steigernde Abwärtsspirale, die kleinere Längen aufweist und uns neugierig und entsetzt zurücklässt. Nach dieser Lektüre könnten wir uns nicht mehr vorstellen, einer Nanny zu vertrauen, dafür wirkt das Buch zu real.

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