22. Dezember 2021

Career Suicide von Bill Kaulitz


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Bill Kaulitz nutzt die durch Corona tourfreie Zeit, um Rückschau auf die ersten 30 Jahre seines Lebens zu halten. 

Was hätte dieses Buch nicht alles werden können: Abrechnung mit der Musikindustrie. Einblick in das Superstarleben. Striptease einer sensiblen Seele. Nachdenken über Geschlechterzwänge. Entwicklungsreise. Zwillingsromantik. Stattdessen bekommen wir das inhaltlich und qualitativ schlechteste Buch des Jahres präsentiert, und das auch noch zu einem gar nicht so geringen Preis.
Im Folgenden haben wir ein paar Punkte zusammengestellt, die erklären, warum sich "Career Suicide" den allerletzten Platz in unserem Lesejahr verdient hat.

Das Frauenbild

Das erste schlechte Gefühl beschlich uns beim Vorwort von Benjamin Stuckrad-Barre. Rückblickend gesehen war das vielleicht sogar der, zumindest sprachlich, hochwertigste Teil des Buches  für uns war es einfach nur unangenehmes, aufgeblähtes Geschwafel. 

Dann beginnt die Geschichte von Bill Kaulitz. Und so dramatisch sie an einigen Stellen auch sein mag, so sehr gehen sein schlimmen Erlebnisse doch in der geballten Masse an Frauenverachtung und Selbstmitleid unter. Und wenn wir "frauenverachtend" sagen, meinen wir eine Ausdrucksweise, die wir in Incel*-Chat-Foren vermuten, aber nicht in einem Buch, das in einem renommierten Verlag erschienen ist. 

Dass er mit dem, was er schreibt, negativ auffallen könnte, ist Kaulitz durchaus bewusst:
Ich habe nie etwas gemacht, um anderen zu gefallen. Und als meine Lektorin mich nach der ersten Leseprobe anrief und mich fragte, ob mir klar sei, wie arrogant und unsympathisch ich an manchen Stellen wirke, wusste ich, dass dieses Buch es wieder mal beweist. (S. 290 im eBook)
Wir möchten das ganz klar sagen: Es geht uns nicht um "arrogant und unsympathisch". Ein Buch kann von einer arroganten Person handeln und trotzdem gut sein, nur mag man dann vielleicht die Person einfach nicht. Es geht um ein Frauenbild und eine Ausdrucksweise, die unangemessen und widerlich ist. Und Bill Kaulitz verbreitet dies, ohne an irgendeinem Punkt darüber zu reflektieren und wird scheinbar auch von niemandem darauf hingewiesen. 
 

Der Aufbau

Zunächst scheint das Erzählte noch chronologisch strukturiert zu sein und Kaulitz' Lebensweg zu folgen, spätestens ab der Hälfte bricht aber auch dieses vage Gerüst weg, sodass unkontrolliert hin- und hergesprungen wird. Hass und Verachtung prägen die gesamte Storyline, gemischt mit oberflächlichen Berichten und Andeutungen zu Erlebnissen, die interessant wären, aber nicht weiter aufgegriffen werden.

Einige Parts der Geschichte irritieren einfach nur, z. B. wenn Kaulitz eine Stimmband-OP benötigt, sich danach aber weigert, seine Stimme gemäß der ärztlichen Ratschläge zu trainieren, während er zeitgleich schreckliche Angst hat, nie wieder singen zu können. An anderen Stellen haben wir uns wirklich geärgert, wenn ein seitenlanges Anteasern eines Ereignisses dann ins Leere gelaufen ist. 

Kaulitz' Gedanken über sein Leben und sein Verhalten zeigen ganz gut, wie weit entfernt von Selbstreflexion oder einem wirklichen Rückblick er noch ist und haben in uns nur die Frage geweckt, warum er in seiner versuchten Selbsttherapie nicht einfach Tagebuch geschrieben hat, anstatt das Ganze zu veröffentlichen. So wirklich passt so eine Autobiografie zum 30. Geburtstag nämlich nicht zu seiner Aussage: 
Ich hoffe, eure Egos stehen euch nicht zu sehr im Weg und ihr konntet auch mal lachen. Nehmt euch nicht zu ernst! Hab ich auch nicht! (S. 292 im eBook)  
Wir zumindest konnten lachen, aber eher über die Absurdität dieses Werks. Von "sich selbst nicht zu ernst nehmen" konnten wir im Buch leider nichts entdecken. Am Ende angelangt, kommt es einem schon harmlos vor, wenn er von der Tourvorbereitung berichtet, die viel Disziplin erfordere: 
Wochenlang keine Drogen, keine Alkoholabstürze, keine Partys und durchzechten Nächte. (S. 287 im eBook) 
Hier sparen wir uns einfach mal unseren Kommentar.

Die Sprache 

Nicht vorenthalten wollen wir euch aber unsere kurze Qualitätskritik: Falsche Absätze, falsche Zeichensetzung, Verwendung unbekannter Wörter und die schon angemerkte nicht erkennbare Struktur haben die Lektüre zusätzlich zum Inhalt erschwert. Die derbe und vulgäre Ausdrucksweise sorgen ebenso für wenig Freude beim Lesen. Davon abgesehen ist die verwendete Sprache eher einfach und passt, ehrlich gesagt, ganz gut zum Rest. 

Verlag und Lektorat

Nicht jeder Mensch kann schreiben. Genau genommen sind auch die besten Bücher Ergebnis einer intensiven Zusammenarbeit zwischen Autor*in, Lektorat und Verlag. Und das ist eigentlich unser Hauptkritikpunkt: Der Verlag hat offenbar nur die Chance zum Geldverdienen gesehen, anders können wir uns nicht erklären, wie dieses Buch überhaupt veröffentlicht werden konnte. Was das Lektorat getrieben hat, ist uns ein Rätsel. Es wird an einer Stelle erwähnt, also scheint es eins gegeben zu haben. Seinen Job hat es aber nicht gemacht – oder vielleicht schon, wer weiß, wie grauenvoll das Manuskript ursprünglich war, aber das rechtfertigt halt dennoch nicht diese schlechte Qualität. 

Unser Fazit

Kennt ihr diese Amazon-Bewertungen, in denen Menschen schreiben: Wenn ich könnte, hätte ich null Sterne gegeben? So geht's uns mit diesem Buch. Nur dass bei uns ein Herz gleichbedeutend mit einem totalen Flop ist. Uns fällt niemand ein, dem wir dieses Buch empfehlen würden  weder Hardcorefans (denn die kennen vermutlich die meisten Geschichten eh schon) noch Nebenbei-Interessierten (denn für die wäre es wohl nur Quälerei). Uns ist bewusst, dass es Leute gibt, denen das Buch gefallen hat. Verstehen müssen wir das aber nicht. 
Insgesamt sind wir sehr enttäuscht davon, wie sich ein Musiker, der bis heute ein Vorbild für viele (vor allem junge) Menschen ist, so abwertend und verachtend gegenüber anderen Menschen äußern kann.



*Was sind Incels? Der Begriff steht für "involuntary celibate" (unfreiwillig sexuell enthaltsam) und bezeichnet eine im Internet entstandene Subkultur, die u. a. für ihre frauenverachtende Sprache bekannt ist. Hier die Übersetzung der Definition aus dem Cambridge Dictionary: "Mitglied einer Gruppe von Menschen im Internet, die keine Sexualpartner finden können, obwohl sie welche wollen, und die ihren Hass auf Menschen ausdrücken, die sie dafür verantwortlich machen". Wer mehr darüber wissen möchte, dem empfehlen wir dieses Interview.

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